Fulgurit oder Blitzröhre *
Vielleicht ist dieses ganz neue Objekt in den FF Sammlungen „Wolterdingen in 50 Sachen“ 1000 Jahre alt, vielleicht 20 000 Jahre oder noch viel älter. Denn es ist aus dem fast unvergänglichen Glas. Es ist nämlich Naturglas. Die zweite Form von natürlichem Glas neben Obsidian. Se ipse sculpsit. Schon das von Menschenhand gefertigte Glas ist fast unvergänglich. Es wird nur vom natürlichen Glas übertroffen.
Wie also entsteht Fulgurit immer noch, wie ist unsere wertvolle Blitzröhre entstanden? Die meisten der seltenen Fulgurite findet man mit viel Glück in den grossen Sandwüsten, aber auch in sandigen Quarzböden. Unsere Blitzröhre stammt von den Capverden, einer berüchtigten Gewitter-Ecke im Atlantik. Aber die Weltinspiration, der big bang der Glasherstellung fand im Vorderen Orient statt. Die Orientalen wunderten sich über die immer wieder im Dünensand anzutreffenden astartigen, knorrigen Gebilde, Skulpturen die in der Mitte Rohrkanäle aufweisen. Bis eines Tages neben oder vielleicht in eine Karawane ein Blitz bei einem gar nicht so seltenen Wüstengewitter einschlug. Da Kamele auf vier Beinen zu stehen pflegen, war die Wirkung wegen der Schrittspannung üblicherweise verheerend. Direkt an der Einschlagstelle aber entstand im Sand ein Krater aus dem eine Art Aststrunk herausspickte. Der hatte diese skurile Röhre im Zentrum. Heureka, hätten Griechen gesagt, wenn sie dabei gewesen wären und überlebt hätten. Die Orientalen aber sagten: „Jetzt haben wir’s endlich kapiert.“ Wenn wir den Quarzsand erhitzen, können wir Glas machen. Steinkohle für hohe Schmelztemperaturen gibt es im Orient durchaus im offenen Tagebau. Mit Holzkohle wird’s schon schwieriger. Das klassische Kohlenmeiler-Land ist der Wüstenorient eher nicht. Aber bald haben sie’s gecheckt, dass Beigaben von Naturnatron aus Gruben bei Alexandria den Schmelzpunkt vom Quarzsand deutlich senkt. So bekamen sie früher eine Fritte, eine Glassuppe, eine Glasschmelze, eine Glasmasse erschmolzen. Daraus machten sie zuerst Glasperlen und Ringe, in Tonformen gegossen. Bald folgten in Tonformen, in Modeln, gegossene Schalen, Becher und Teller. Jetzt fehlten nur noch amphohrenartige Hohlgefässe. Sie mussten noch die Bronze- und Eisenzeit abwarten um Glaspfeifen zum Glasblasen zu verwenden. Es ist den pfiffigen Orientalen aber auch zuzutrauen, dass sie feuerfeste Blaspfeiffen aus Ton benutzten. Inspiriert wurden sie auf jeden Fall von den Hohlblitzröhren. Was der Blitz kann, das kriegen wir auch erschmolzen und geblasen.
Weltwirtschaft gab es zollfrei und erfolgreich lange vor Trump. Luxus hatte seinen Preis, insbesonders bei den feilschenden Basaris, die den Luxushändlern vom Mittelmeer die begehrten, exquisiten, Guccimässigen Glaswaren verkauften. Hochpreissegment lockt aber auch Nachahmer und Werksspione an. Bald hatten die Römer, Griechen, Marseiller und Venezianer den Trick auch raus. Und es war nur eine Frage von kurzer Zeit, bis die Kobolde und Venezier die Glasmacher Kunst auch in den Silva Nigra brachten. Denn dort waren die Voraussetzungen, die Rohstoffe und Märkte bestens geeignet. Lediglich das Natron aus Alexandria fehlte. Aber das ersetzte man durch Potaschegewinnung aus Farn- und Laubholz-Asche. Auch aus unserem Laubenhausen??
Vielleicht verstehen wir jetzt die fundamentale Bedeutung für das Wunder des Glases von diesem unscheinbaren neu ausgestellten Objekt, diesem Fulgurit. Nicht nur der Name hat Poesie, erst recht das zierliche, verquarzte Ding Nr. 51. Wie sagt Neil McGregor: Anhand derartiger Artefakte kann man ihre Poesie und Seele geradezu ablauschen.
©Hubert Mauz
Und übrigens: Fotos von der Ausstellungseröffnung finden sich hier: https://ricarta.pixieset.com/guestlogin/ausstellungseroffnung/?return=%2Fausstellungseroffnung%2F (Passwort erfragen unter marketing@wolterdingen1250.de)